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Empört euch! Engagiert euch!

Redebeitrag auf der Ludwigsburger Kundgebung für Demokratie und Vielfalt vom 28. Januar 2024

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Eine Nachbarin von mir bekam im November Post, dass sie nach Stuttgart kommen muss. Dort wurde sie dann mit vielen anderen zusammen in Eisenbahnwagen gesteckt und weggefahren, deportiert, nach Riga – und dort ermordet.

Meine Nachbarin, das ist – ein Beispiel von furchtbar vielen – Jenny Henle aus der Myliusstraße 6, sie war Jüdin. Dieser November, das war der November 1941. Den Plan, dass irgend eine Gruppe von Menschen aus Deutschland fort soll, den gab es hier bekanntlich schon mal. Und dieser Plan wurde grausamst ausgeführt.

Jetzt, im November 2023, haben sich Leute aus dem rechtsradikalen Milieu in Potsdam getroffen – Neonazis, hochrangige AfD-Politiker, Unternehmer – und haben Pläne gemacht, wie man bestimmte Gruppen von Menschen aus Deutschland vertreiben kann. Millionen von Menschen. Wenn ich mir das vorstelle, diese Ignoranz, diese Überheblichkeit, diesen völkischen Schwachsinn, könnte ich den ganzen Tag schreien.

Diese Pläne sind skandalös. Unanständig. Unmenschlich. Wir tun nun genau das, was der französische Diplomat und Autor Stéphane Hessel mit über 90 Jahren mit Blick auf die Finanzkrise von 2008 gefordert hat: „Empört euch!“ So hieß ein Aufruf von ihm, ein schlankes Büchlein. Wir empören uns. Hessel war in Frankreich im Widerstand gegen die Nazis gewesen und hatte das KZ Buchenwald überlebt. 2013 ist er gestorben. Garantiert würde er uns heute wieder aufrufen: „Empört euch!“

Stéphane Hessel brachte dann noch einen zweiten Band heraus: „Engagiert euch!“ Und dieser zweite Gedanke ist so wichtig wie der erste. Wenn wir nach der Empörung weitermachen wie vorher, hat sich zu wenig verändert – und es muss sich mehr ändern.

Wenn wir einen alten Luftballon mit miefiger Luft drin in ein Vakuum setzen, wird er groß und prall. Genau das passiert in letzter Zeit. Wir haben ein zu großes Vakuuum in Sachen Engagement. Alles was wir tun, ist ganz offensichtlich noch nicht genug. Das miefige bisschen Luft im rechtsradikalen Ballon dehnt sich unmäßig aus.

Das ist für jede von uns, für jeden von uns die Aufgabe: „Engagiert euch!“ Seid sichtbar, seid wirksam. Widersprecht der Gleichgültigkeit, wo immer ihr sie trefft. Es ist nicht egal, ob die AfD in Parlamenten sitzt und dort ihre Propaganda verbreitet oder oder ob sie gar Entscheidungen gestalten kann.

Widersprecht, wenn ihr Sprüche hört, in denen einzelne Menschengruppen zu Hassobjekten degradiert werden. Wenn einer bestimmten Gruppe von Menschen die Menschenrechte abgesprochen werden. Widersprecht, wenn Menschen aus eurem Umfeld die AfD stark quatschen, weil sie die Arbeit der Bundesregierung zu schlecht finden.

Engagiert euch für Demokratie, engagiert euch für Vielfalt! Es gibt so viele Themen und so viele Organisationen, die beherztes, sichtbares Engagement brauchen.

Ihr könnt wirklich Wichtiges tun – und das bereichert nebenbei auch noch euer Leben.

Dass ihr heute hier seid, bedeutet: Ihr empört euch. Mega gut! Macht auch den zweiten großen Schritt: Engagiert euch noch mehr als bisher! Empört euch UND engagiert euch!

Jochen Faber, Arbeitskreis Dialog Synagogenplatz

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